Sicherheit beim DFR

Deterministische Sicherheit



Demokrit (460 — 371 v. Chr, Gemälde von Antoine Coypel 1692) gilt als gedanklicher Urheber des Determinismus (der Zustand des Universums lässt sich mithilfe von Naturgesetzen aus vorangehenden Zuständen ableiten) wie auch des Atomismus (Materie ist aus mikroskopischen unteilbaren Partikeln aufgebaut — heute würden wir Quarks und Leptonen als „Atome“ bezeichnen!).

Das Sicherheitskonzept von Leichtwasserreaktoren kann man auch als stochastische Sicherheit bezeichnen: Die Wahrscheinlichkeit von Unfällen mit gesundheitlich bedenklicher Radioaktivitätsfreisetzung kann auf sehr geringe Werte gedrückt werden — aber sie ist eben immer noch von Null verschieden. Allen aktuell zur Energieerzeugung eingesetzten Reaktortypen ist gemeinsam, dass sie mit gestaffelten Sicherheitsvorkehrungen ausgerüstet sind — von den charakteristischen Reaktorkuppeln, die eventuell austretenden Dampf auffangen sollen, bis hin zu Dieselaggregaten, die die Kühlpumpen antreiben, wenn deren reguläre Stromversorgung versagt. Jede dieser Vorkehrungen kann jedoch mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit versagen. Absolute Sicherheit ist auf diese Weise nicht möglich.



Beim EPR (European Pressurized Water Reactor) sieht man den Platzbedarf der Schutzvorrichtungen besonders gut: Sie sind in den vier Gebäuden rund um die Reaktorkuppel untergebracht. (Quelle)

Der Dual-Fluid-Reaktor dagegen wurde von Anfang an als zivile Energiequelle konzipiert. Das bedeutet, dass deterministische Sicherheit erforderlich ist — denn die Aggregate sollen ja in der Umgebung von Wohngebieten und Industrieanlagen installiert werden. Deterministisch bedeutet: Die Wahrscheinlichkeit, dass unkontrolliert schädliche Mengen an Radiotoxinen freigesetzt werden, liegt exakt bei Null. Aus den Eigenschaften des Reaktors lässt sich mit mathematischer Präzision ableiten, dass solange das Universum existiert, kein Ereignis stattfindet, das zu gesundheitsgefährlichem Anstieg des Strahlungsniveaus außerhalb der Anlage führt — ebenso, wie ein Glas Wasser, das auf dem Tisch steht, eben nun einmal nicht spontan zu kochen anfängt, oder ein Objekt im Erdschwerefeld abwärts fällt — einfach, weil die Naturgesetze eine bestimmte Form haben.

In flüssigem Brennstoff sind Ausdehnung und Zusammenziehung bei Erhitzung bzw. Abkühlung viel ausgeprägter als in Feststoffen. Der negative Temperaturkoeffizient des DFR fällt daher viel höher aus als bei Festbrennstoffreaktoren. Der Reaktor regelt sich selbst, ganz ohne mechanische Steuerelemente: Er folgt präzise der entnommenen Leistung bei konstanter Temperatur, welche durch die Spaltstoffkonzentration in der Flüssigkeit vorgegeben wird. Er ist also inhärent sicher, wobei dieses Konzept noch konsequenter umgesetzt ist als beim Leichtwasserreaktor, da nicht nur die Unterdrückung von Leistungsexkursionen, sondern auch die Steuerung im Normalbetrieb selbsttätig stattfindet.

In flüssigem Blei bildet sich, auch bei Ausfall der Pumpen, hinreichend natürliche Konvektion aus, um Nachzerfallswärme aus dem Reaktorkern abzuführen — wobei letztere ohnehin viel geringer ist als bei einem Festbrennstoffreaktor, da die Spaltprodukte ja dauernd entnommen werden. Der DFR ist somit inhärent wie auch passiv sicher.

Niemand würde sich vor einer Biogasanlage in der Nachbarschaft fürchten, obwohl eine gewisse Explosionsgefahr droht. Wegen eines Leichtwasserreaktors braucht man sich deutlich weniger Sorgen zu machen — ein DFR, direkt neben einem Ballungszentrum installiert, wäre weniger gefährlich als ein Serverzentrum. Die größten Gefahren gingen von Arbeitsunfällen am nichtnuklearen Teil der Anlage aus, und wären vergleichbar mit oder geringer als bei sonstigen Betrieben und Fabriken.

Ein nuklearer Analogrechner

In seinem Buch „Mit den Augen des Computers“ (Originaltitel: „Computers and the Imagination“) entwirft der Autor und Biochemiker Clifford Pickover ein interessantes, hypothetisches Szenario: Was, wenn Wissenschaftler des Jahres 1900 via Zeitreise einen modernen PC zur Verfügung gestellt bekommen hätten? Er legte diese Frage vielen Kollegen vor und sammelte die Antworten. Viele der gefragten Wissenschaftler gingen davon aus, dass der PC im Jahre 1900 zunächst Begeisterung ausgelöst hätte — mit ihm würden auf ein Mal Lösungen für alles möglich scheinen — und dann Ernüchterung: Die Übertragung realer physikalischer, technischer, biologischer u.a. Probleme in Algorithmen ist eben nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn das Universum funktioniert (so weit wir wissen) analog, es beruht auf sich stetig ändernden Größen (bis auf die Quantisierung in der Mikrowelt), Computer dagegen arbeiten mit diskreten Speicherwerten. Die Modellierung stetiger Systeme durch diskrete Datenstrukturen ist ein so umfangreiches Thema, dass sie sich als eigener Wissenschaftszweig etabliert hat: Numerische Mathematik.

Ingenieure, die ein Sicherheitskonzept für Leichtwasserreaktoren entwickeln, müssen die im Reaktor ablaufenden Prozesse simulieren und Programme schreiben, die ihn so steuern, dass der Sollzustand (Temperatur, Leistung…) gehalten wird. Um einen LWR sicher zu machen, ist somit ein Schritt auf eine höhere Vollzugsebene nötig: Vom physikalischen Universum zu Datenstrukturen in einem elektronischen Speicher. Dies geht nicht ohne Informationsverlust, da der Rechner nur endlich viele Stellen berücksichtigen kann. Informationsverlustfreie Simulation ist nur möglich, wenn ein Rechner einen anderen Rechner geringerer Leistung abbildet — man spricht dann von Emulation.



Ein Analogrechner (Rechenschieber). Quelle.

Einfacher und robuster wäre ein Sicherheitsmechanismus, der ohne Informationsverlust auskommt. Das geht nur, wenn der Reaktor gewissermaßen sein eigener Simulationscomputer ist — ein Analogrechner, der sich selbst steuert. Genau das leistet der DFR.

Drei Effekte tragen dazu bei, dass der Reaktor ganz ohne externe Steuermechanismen stets seine Solltemperatur hält und sich der Leistungsentnahme anpasst:

  • Ausdehnung bzw. Zusammenziehen der Brennstoffflüssigkeit bei Erwärmung/Abkühlung.
  • Temperaturabhängige Dopplerverbreiterung der Resonanzen in den Neutroneneinfangquerschnitten.
  • Dichteänderung des neutronenreflektierenden Flüssigbleis.

Diese Mechanismen sorgen dafür, dass bei Anstieg der Temperatur über den Sollwert hinaus die Spaltrate sinkt, bei Unterschreiten der Solltemperatur entsprechend ansteigt, so dass sich ein stabiles Gleichgewicht einpendelt. Die Höhe der Solltemperatur wird von der Pyrochemischen Prozesseinheit (PPU) über die Spaltstoffkonzentration eingestellt.

Notabschaltung durch Schmelzstopfen



Funktionsschema eines Schmelzstopfens.

Im äußersten Fall der Fälle, wenn z. B. die Kühlkette komplett unterbrochen wird oder ein Fehler in der PPU zuviele spaltbare Kerne zugibt, so dass sich die Solltemperatur auf zu hohem Wert einpendelt — auch dann bleibt der DFR sicher. Dafür sorgen die Schmelzstopfen. Es handelt sich um Verschlüsse aus festem Brennstoff unten an der Brennstoffschleife, die ständig durch ein auf Maximalleistung eingestelltes Kühlaggregat in gefrorenem Zustand gehalten werden. Sie befinden sich in einer konischen, sich nach oben verjüngenden Rohrsektion: Schon bei geringfügigem Anstieg der Temperatur über den Sollwert lösen sie sich von den Wänden ab und werden nach unten weggedrückt — die Flüssigkeit strömt dadurch in Auffangtanks, deren Größe und Form eine Kettenreaktion unterbindet. Außen sind die Tanks mit Stahlbarren umgeben, die als Wärmepuffer dienen und die Nachzerfallswärme passiv abführen.

Bei ihrem Molten Salt Reactor Experiment (MSRE) schalteten Weinberg und sein Team den Reaktor übrigens jeden Freitag Abend auf genau diese Weise ab: Sie unterbrachen die Stromzufuhr zu dem Gebläse, das als Kühlaggregat diente, die Stopfen schmolzen und die Brennstoffflüssigkeit strömte in die Auffangtanks. Montags wurde dann das inzwischen erstarrte Salz wieder verflüssigt und in den Reaktor hinaufgepumpt.

Die Sicherheit des Reaktors wird somit nur durch Thermodynamik und Schwerkraft gewährleistet. Naturgesetze schlafen nie, sind nie geistesabwesend oder unzuverlässig. Solange das Universum existiert, kann ein DFR keinen „Super-GAU“ hervorrufen — ebensowenig wie Steine senkrecht in die Luft steigen oder Wasser bei sengender Wüstenhitze gefriert.

Schutz vor externen Einwirkungen

Die geringe Größe des DFR ermöglicht es, ihn in einem unterirdischen Bunkergebäude zu verbauen, welches militärischen Standards genügt. Zerstörung der Anlage durch interne Wirkungen ist aufgrund der Gesetze der Thermodynamik und der Schwerkraft nicht möglich. Selbst ein terroristisch motivierter Saboteur kann nicht die Physik überlisten. Zerstörung von außen ist zwar denkbar — aber nur mithilfe der modernsten Grabsprengköpfe oder eines nuklearen Bunkerknackers.

Es spricht nichts dagegen, DFRs in Industrie- oder Stadtgebieten zu installieren. Ein Szenario, in dem Menschen durch Strahlenfreisetzung aus ihm gesundheitlich geschädigt werden, ist nicht wahrscheinlicher, als dass ein Mensch dadurch ums Leben kommt, dass sich der gesamte Sauerstoff in einem Zimmer in einer Ecke sammelt.

Weiterführende Informationen

In Zusammenarbeit mit dem Verein KRITIKALITÄT hat unser Institut aber eine Webseite erstellt mit vielen Informationen zur nuklearen Energieerzeugung und den damit verbundenen Risiken: die „Hundert guten Antworten”. Wir räumen dort mit der einen oder anderen verbreiteten Falschvorstellung auf und trennen in leicht verständlicher Form Mythos und Wirklichkeit.