EROI — der Erntefaktor

Energie im Überfluss?



Sonnenwärmekraftwerk in einem Wüstengebiet. (Argonne National Laboratory)

„Es gibt Solarenergie im Überfluss! Ein Quadrat von wenigen hundert Kilometern Kantenlängen in der Sahara, gefüllt mir Spiegelrinnen, könnte den gesamten Energiebedarf der Menschheit decken. Weder fossile Brennstoffe noch Kernenergie werden benötigt.“

Stimmt das?

Rechnerisch ja: 2016 lag der Weltenergieverbrauch, über das Jahr gemittelt, bei 18,600 Gigawatt. Sonnenwärmekraftwerke in Wüstengebieten sammeln rund 20 W pro Quadratmeter — dies bedeutet, dass ein quadratisches Solarkraftwerk mit 960 km Kantenlänge den Weltbedarf stillen könnte.

Realistisch würde man natürlich, um eine Vollversorgung mit Erneuerbaren zu erreichen, mehrere kleinere Anlagen in verschiedenen Wüstengebieten errichten, sie mit gewaltigen Offshore-Windparks u.ä. kombinieren — doch all diese Vorschläge haben einen Haken. Er liegt im sogenannten Erntefaktor oder EROI (Energy Returned on Investment).
 

 

Erntefaktor EROI



Leben ohne Maschinen. Gemälde von Viktor Vasnetsov (Public Domain).

Warum nutzen wir überhaupt Technik? Güter lassen sich auch auf dem Rücken transportieren statt im Eisenbahnzug, statt mittels Email oder SMS ließen sich Nachrichten auch mündlich von Boten übermitteln, Tausende von Rechenknechten mit Papier und Bleistift ersetzen den PC… doch dann wären wir wieder auf dem Niveau der Bronzezeit: Viel mehr Arbeit mit viel geringerer Wirkung. Maschinen nehmen uns die Arbeit weg — endlich! Sie sind die neuen Sklaven aus Stahl, Plastik, Kupfer, Silizium.

Der Erntefaktor sagt uns, wieviel Arbeit uns eine bestimmte Technologie abnehmen kann.

Er ist folgendermaßen definiert: EROI = von einem bestimmten Maschinentyp über die gesamte Lebensdauer der Anlage freigesetzte Exergie geteilt durch die Exergie, die nötig ist, um sie zu bauen, mit Brennstoff zu versorgen, zu warten und am Schluss außer Dienst zu stellen.

Exergie ist gerichtete Energie: Bewegte Räder, elektrische Ströme, Laser, etc. Diffuse Energie, wie z. B. Wärme oder elektronisches Rauschen, nennt man dagegen Anergie. Um einem System Exergie hinzuzufügen, muss Arbeit daran geleistet werden, das heißt: Eine Kraft muss über eine gewisse Strecke in ein gewisse Richtung wirken — beispielsweise die mechanische Kraft eines Motors oder die elektromagnetischen Kräfte in einem Dynamo. Der Zuwachs an Exergie entspricht dabei dem Betrag der geleisteten Arbeit (Einheit Joule). Anergie kann immer nur zu einem gewissen Anteil in Arbeit (bzw. Exergie) gewandelt werden, dagegen endet jede Form von Exergie stets vollständig als Anergie (z. B. durch Reibung oder elektrischen Widerstand). Man bezeichnet Exergie daher als hochwertige, Anergie geringwertige Energie.

Je höher der EROI einer bestimmten Technologie, desto effizienter ist sie, desto mehr kann sie für uns tun. Beträgt der EROI 30, dann zieht — vereinfacht gesagt — die Maschine dreißigmal an einem Hebel, während der Arbeiter aus Fleisch und Blut nur einmal zu ziehen braucht.

Begriffe wie Wirkungsgrad oder Nachhaltigkeit sind letztlich unbedeutend: Wenn man wissen will, wie nützlich eine bestimmte Energiequelle für die Menschheit ist, ist der EROI der entscheidende Parameter. Er gibt an, in welchem Maße die von Menschen eingebrachte Energie durch die Technik verstärkt wird.



Energiegeschenke vom Universum: Sonnenlicht, fossile Brennstoffe, Uran, Thorium. Sie ermöglichen uns eine Vervielfachung unserer Arbeitsleistung um den Faktor R (EROI).

Physiker werden nun die Stirn runzeln: Energie kann doch nicht verstärkt werden! Ihre Summe bleibt stets erhalten. Das ist selbstverständlich richtig. Doch die Natur hält verschiedene höchst wertvolle Geschenke für uns bereit: fossile Kohlenwasserstoffe, Uran, Thorium. Erstere enthalten chemisch aufkonzentrierte Solarenergie, Letztere die Energie längst verglühter Supernovae. Wenn wir ein Kraftwerk bauen, machen wir eines dieser Energiepakete auf. Dazu braucht es eine gewisse Menge menschlicher Arbeit, die von der aus dem Paket hervorgeholten Energie um einen bestimmten Faktor übertroffen wird. Dieser Faktor ist der EROI. Er ist umso höher, mit je geringerem Aufwand wir das Paket öffnen, d.h. je einfacher, robuster und kompakter unsere Technologie ist — und je mehr Energie in dem Paket steckt: Der EROI ist sehr eng verknüpft mit Energiedichten (Wärmegehalt pro Kilogramm Brennstoff) bzw. Energieflussdichten (Leistung pro Volumen oder Quadratmeter Landfläche). Konzentrierte Energiequellen haben höhere EROIs als diffuse.



EROIs verschiedener Energiequellen. Für die unregelmäßig arbeitenden (Wind, Solar) wurden noch Energiespeicher mit in Betracht gezogen (gelbe Balken). Speichertechnik bedingt zusätzlichen Konstruktionsaufwand und senkt dadurch den EROI. Quelle: Weißbach et al. (2013): „Energy intensities, EROIs (energy returned on invested), and energy payback times of electricity generating power plants“.

Im Laufe der Menschheitsgeschichte entwickelte man immer effizientere Maschinen mit immer höherem EROI, denn das Ziel war, mit weniger Handgriffen mehr erreichen zu können. In der Antike verließ man sich auf Sklavenarbeit, die von einfachen mechanischen Vorrichtungen (Hebel, Flaschenzug, schiefe Ebene, Rollen…) unterstützt wurde. Damit erreichte man einen EROI knapp über 1. Im Mittelalter fanden Wind- und Wassermühlen weite Verbreitung in Europa: Ihre EROIs liegen bei niedrigen einstelligen Werten. Im Industriezeitalter hatten die fossilen Brennstoffe ihren großen Auftritt, als Treibstoff für Dampfmaschinen und später Motoren mit interner Verbrennung. Ihre EROIs liegen bei 30. Herkömmliche Kernkraftwerke erreichen Werte um 75. Das ist zwar etwas mehr als bei fossilen Kraftwerken, aber angesichts der hohen Energiedichte der Kernbrennstoffe enttäuschend: Ein Kilogramm Uran enthält das Zweimillionenfache an Energie eines Kilogramms Kohle!

Genauere Erklärungen finden sich auf den Seiten des Instituts für Festkörper-Kernphysik, einschließlich Details zu den Berechnungen.

Warum können Leichtwasserreaktoren die phantastische Energiedichte der Aktinide nicht vollends nutzbar machen? Die Antwort ist einfach: Sie sind zu komplex, zu ineffizient und benötigen externe Zusatztechnologien (insbesondere Anreicherung), die unnötig Energie verschlingen. Um Uran und Thorium in großem Stil zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es eine Technologie, die ihr Potential ausschöpft, so dass sie die fossilen Energieträger um deutlich mehr als den Faktor 2 übertreffen.

Nebenstehende Grafik zeigt charakteristische EROIs verschiedener Energiequellen, sowohl im gepufferten (mit Zwischenspeicher) wie im ungepufferten Fall. Letzteres ist allerdings physikalisch nicht wirklich sinnvoll: Denn Arbeit — als Quelle der Exergie — ist nicht speicherbar, sie wirkt auf ein System oder nicht, kann aber nicht „für später aufgehoben“ werden. Es gibt streng genommen keine Stromspeicher! Hierzu ist Wandlung in chemische (Batterie), mechanische (Pumpspeicher, Drucklufttank), elektrostatische (Kondensator) oder kinetische (Schwungrad) Energie nötig.

Dual-Fluid-Reaktor: EROI über 2000!

Wie muss eine Energiequelle beschaffen sein, damit ihr EROI möglichst hoch ist?

  • Energiedichten und Energieflussdichten sollten möglichst hoch sein: Das impliziert Nutzung der Kernkraft und schließt diffuse Quellen wie Wind oder Solar aus.
  • Sie muss kompakt sein: Nur wenig Material pro Watt Leistung darf zum Einsatz kommen.
  • Sie sollte wenig oder am besten überhaupt keine externen Hilfsindustrien wie z.B. Urananreicherung benötigen.
  • Der Brennstoff sollte so komplett wie möglich genutzt werden.


Kern des DFR. Die besondere Bauweise (zwei getrennte Kreisläufe für Brennstoff und Kühlung) erlaubt eine Leistungsdichte, die die aller anderen Reaktordesigns übertrifft. Dadurch kann der DFR mit minimalem Exergieaufwand hergestellt werden und erzielt vierstellige EROIs.

Der Dual-Fluid-Reaktor erfüllt alle diese Forderungen in höherem Maß als jedes andere Reaktordesign. Das Dual-Fluid-Prinzip (Einsatz zweier getrennter Kreisläufe für Brennstoff und Kühlung) erlaubt maximale Optimierung des Systems, so dass extrem hohe Leistungsdichte — und damit verbunden sehr geringer Materialaufwand — möglich wird. Urananreicherung ist unnötig: Nachdem er einmal mit einer Startportion an Spaltstoff beschickt wurde, kann er beliebig lange mit abgereichertem Uran, Natururan oder Thorium betrieben werden. Auch Herstellung von Brennelementen entfällt dank flüssigem Brennstoff. Das schnelle Neutronenspektrum, verbunden mit integrierter Aufarbeitung via Pyrochemische Prozesseinheit (PPU) ermöglicht nahezu vollständige Spaltung sämtlicher Aktinide



Neben dem EROI des DFR ist der herkömmliche Leichtwasserreaktoren fast vernachlässigbar gering!

Wärmekraftmaschinen übertreffen Erneuerbare um eine — der DFR fossile Energiequellen um zwei Zehnerpotenzen: EROIs im Bereich 2000-5000!

EROI und Lebensstandard

Bei der industriellen Revolution wurden EROIs von ein- auf zweistellige Werte gehoben: von Wind-, Wasser- und Muskelkraft und Holzverbrennung zu fossil befeuerten Maschinen. Dies hatte eine massive Erhöhung des Lebensstandards zur Folge. In punkto Gesundheit, Mobilität, Bildungs- und Konsummöglichkeiten lebt selbst ein ALG-II-Empfänger heutzutage besser als ein durchschnittlicher Bürger im 18. Jahrhundert. Aus Sicht eines Menschen aus präindustrieller Zeit sind im 21. Jahrhundert fast alle Menschen in den OECD-Staaten reich.



Fliegende Autos sind heute bereits technisch möglich. Kosten und Energieaufwand machen sie jedoch als individuelles Fortbewegungsmittel impraktikabel. Mit DFRs und EROIs über 2000 könnte sich das rasch ändern. Design by Herminio Nieves.

Der DFR hebt den EROI von zwei- auf vierstellige Werte. Dies ermöglicht Produktivität auf einem völlig neuen Niveau. Verfahren, die heute zwar möglich sind, doch aus Kostengründen nicht genutzt werden, können dann großtechnisch zum Einsatz kommen: Plasmarecycling für alle Abfälle. Totalautomatisierung ganzer Produktions- und Verteilungsketten. Urbane Nahrungsmittelsproduktion in hydroponischen „Grünkratzern“. Ultraschnelle Magnetschwebebahnen in luftleer gepumpten Röhren. Individuelle Mobilität in der Luft. Reisen ins All so preisgünstig wie heutiger Flugverkehr… und zweifellos zahllose weitere Technologien, die man auf Basis des neuen Energieflussdichtenniveaus entwickeln wird.

Eine Gesellschaft, die auf EROIs im Tausenderbereich fußt, wird sich von der heutigen viel stärker unterscheiden als die heutige von der präindustriellen. Die Details sind Spekulation. Eines ist sicher: Es wird eine interessante Zeit — und die Menschen werden es deutlich besser haben!