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Von der Kernspaltung zum Strom

Stellen Sie sich vor: Sie fahren im Jahr 2030 mit ihrem Hydrazinauto am Rhein entlang. In der Nähe von Köln sehen Sie am Flussufer ein kleines Industriegelände, in etwa von den Ausmaßen eines größeren Einkaufszentrums. „Kernkraftwerk Otto Hahn Nordrhein-Westfalen“ steht auf einem Schild. Doch eine Reaktorkuppel ist nicht zu sehen. Nur ein Kühlturm und einige künstliche, mit Rasen bewachsene Hügel zeigen an, dass unterirdisch Maschinen verbaut sind, die gewaltige Energiemengen liefern. Ansonsten fällt ein flaches, langgestrecktes Gebäude auf, hinter dem sich ein Umspannwerk befindet, das mit einer Hochspannungstrasse verbunden ist. Eventuell führen auch einige Rohre zu einer Raffinerie oder einem Chemiewerk in der Nähe. „Wie gut“, denken Sie, „dass wir 2022 endgültig aus der Leichtwasserreaktortechnik aus-, und in die effiziente DFR-Technik eingestiegen sind!“

Ein Kernreaktor erzeugt Wärme. Damit diese für Menschen nützliche Arbeit zu leisten vermag, muss sie in Exergie (gerichtete Energie, Arbeit) gewandelt werden: Elektrizität oder chemische Energie. Dies leistet das Kraftwerk.

Wie ein DFR-Kraftwerk aussehen kann, zeigt folgende Grafik:



Das DFR-Kraftwerk. Alle nuklearen Komponenten sind unterirdisch verbunkert. Nur das Turbinenhaus ist äußerlich sichtbar.

Die geringe Größe des DFR erlaubt es, alle nuklearen Komponenten unterirdisch, in gehärteten Betonbunkern unterzubringen. Nur raffinierte Grabsprengköpfe oder hochexplosive bunkerbrechende Waffen könnten die „heiße Zone“ von außen beschädigen. (Terroristen oder Verbrecher sind nicht in der Lage, sich solche Waffen zu verschaffen, da zu ihrer Produktion eine entwickelte Rüstungsindustrie benötigt wird, und die Armeen, die darüber verfügen — USA, Russland, China — verwahren sie in hochsicheren Militärbasen.)

Die weißen Betonkuppeln, die man meist mit der Kernenergie assoziiert, werden daher im Zeitalter des DFR der Vergangenheit angehören! Sie sollen dazu dienen, eventuell aus den Leichtwasserreaktoren mit hohem Druck entweichenden Dampf aufzufangen. Der DFR arbeitet bei Normaldruck und erzeugt selbst keinen Dampf — als schneller Reaktor enthält er weder Wasser noch irgendwelche anderen Stoffe mit geringem Atomgewicht. Die Kuppel wird dadurch überflüssig.

Da die hohe Arbeitstemperatur des DFR effiziente Energiewandlung erlaubt, kann vermehrt auf natürliche Gewässer zur Kühlung zurückgegriffen werden, ohne Kühltürme. Das einzige, was oberirdisch von einem DFR-Kraftwerk zu sehen sein wird, ist das Turbinenhaus und das angeschlossene Umspannwerk.

In Ländern mit ausgebautem Stromnetz sind Kraftwerke mit Leistungen im Gigawattbereich die optimale Lösung. Für kleinere Netze (z. B. auf Inseln) können auch Mini-DFRs mit einigen hundert Megawatt eingesetzt werden.

Der Turbogenerator



Turbosatz des Kernkraftwerks Balakowo (Quelle). Er wird von Wasserdampf angetrieben; das DFR-Kraftwerk wird dagegen mit superkritischem Wasser oder Kohlendioxid arbeiten.

Da Blei unter Neutronenbestrahlung kaum aktiviert wird, kann der Primärkreislauf in den konventionellen Teil hinübergeführt werden. Hier gibt er seine Energie in einem Wärmetauscher an den Turbinenkreislauf ab. Dieser enthält ein Medium mit deutlich geringerer Wärmekapazität: superkritisches Wasser (scH2O) — ein besonderer Materiezustand zwischen Flüssigkeit und Gas, der wahrscheinlich die kostengünstigste Lösung darstellt. Turbinen für superkritische Medien ähneln eher Gasturbinen als Dampfturbinen, da im Kreislauf kein Phasenübergang stattfindet und ein Turbokompressor benötigt wird. Moderne Kohlekraftwerke arbeiten bereits bei 700 °C mit scH2O-Turbinen, Temperaturen bis 1000 °C sollten jedoch kein Problem darstellen, da die Turbinenschaufeln aus sehr robustem Material gefertigt werden, und mit Staub, Schwefelsäure und Wasserdampf bei 1400 °C klarkommen. Auch superkritisches Kohlendioxid wäre als Arbeitsmedium möglich.

Nutzung der Prozesswärme

Falls der Reaktor teilweise oder komplett als Prozesswärmewerk arbeiten soll, muss der konventionelle Teil modifiziert werden. Entweder heizt der Bleikreislauf unmittelbar einen chemischen Reaktor, oder aber er gibt seine Wärme an einen zusätzlichen Flüssigkreislauf ab. Bei gemischter Nutzung — Elektrizität und Prozesswärme — wird letztere vor dem Dampferzeuger entnommen. Der Turbinenkreislauf arbeitet dann bei etwas niedrigerer Temperatur.

Die Pyrochemische Prozesseinheit (PPU)



Eine Rektifikationskolonne in einer Erdölraffinerie (Quelle). Die Pyrochemische Prozesseinheit arbeitet nach dem gleichen Prinzip.

„Ist PUREX denn nicht sehr teuer und umweltschädlich?“, fragen Viele, wenn sie das Wort „Aufarbeitung“ hören. Das stimmt! Bei dem im Zweiten Weltkrieg zur Gewinnung von Waffenplutonium entwickelten, nasschemischen Extraktionsverfahren entsteht viel Giftmüll, und es ist extrem aufwändig und unpräzise. Daher wurde für den DFR ein völlig andere Technologie entwickelt — oder eher: aus anderen Industriezweigen übernommen und modifiziert.

Meerwasserentsalzung, Titangewinnung, Petro- und Getränkeindustrie: flüssige Stoffgemische durch Temperaturunterschiede aufzutrennen, ist ein großtechnisch weit und breit etabliertes Verfahren. Mit der PPU hat es nun seinen großen Auftritt in der Kerntechnik.

Die Brennstoffflüssigkeit wird verdampft und der Dampf durch eine Kolonne geleitet, in welcher ein Temperaturgefälle herrscht. Jedes Element bzw. jede Elementgruppe kondensiert bei einer charakteristischen Temperatur. Dies erlaubt sortenreine Abtrennung aller Spaltprodukte — je nach Betriebsmodus werden bestimmte Stoffe gezielt aus der Brennstoffflüssigkeit extrahiert. Gute Nachrichten für die Medizin: Der Radiotracer Technetium 99m, der aus Molybdän 99 entsteht, kann nun in jedem Stromkraftwerk in großer Menge gewonnen werden, ohne dass man teure Forschungsreaktoren einsetzen muss.

Beim DFR/m wird die Brennstoffflüssigkeit in ein Chlorsalz umgewandelt, bevor sie in die PPU gelangt, da die Metallschmelze zu hochsiedend ist. Hinter der PPU wird das Chlor wieder entfernt.

Die PPU extrahiert nicht nur die Spaltprodukte, sie dient auch zum Nachfüttern von Kernbrennstoffen. Soll bestrahlter Leichtwasserreaktor-Brennstoff genutzt werden, so muss vor die PPU eine Reduktionsstufe geschaltet werden, die dem Uranoxid den Sauerstoff entzieht.

Mehr über die PPU finden Sie in der Sektion „Atommüll“.

Spaltproduktespeicher



Speicher für langlebige Spaltprodukte unterhalb des PPU-Raums. Ein Roboterarm transportiert die versiegelten Stoffe in das Lager.

Der extrem geringe Materiedurchsatz eines Kernreaktors (ca. 1.2 t / Gigawattjahr) ermöglicht es, alle über die gesamte Betriebsdauer anfallenden Abfälle (dies sind beim DFR ausschließlich Spaltprodukte) auf dem Kraftwerksgelände sicher zu lagern. Da die PPU die Stoffe elementrein abtrennt, können sie je nach Halbwertszeit auf geeignete Weise untergebracht werden.

Langlebige Spaltprodukte werden versiegelt und von einem automatischen Manipulatorarm in einen Speicherraum unterhalb der PPU gebracht. Hier verbleiben sie, bis sie, nach Abklingen ihrer Radioaktivität, entnommen und genutzt werden: 90% aller Spaltprodukte können nach 100 Jahren hervorgeholt werden — als Quelle industriell nutzbarer Stoffe, z. B. Edelmetalle und seltene Erden. (Dank PPU liegen sie sortenrein vor!) Die restlichen 10% müssen ca. 300 Jahre gelagert werden. Sehr langlebige Spaltprodukte werden im DFR selbst in kurzlebigere Isotope transmutiert.

Das Spaltproduktelager wird durch natürliche Luftzirkulation mittels Kamineffekt gekühlt.

Die kurzlebigsten Spaltprodukte können mit ihrer Wärmeerzeugung zur Energieproduktion beitragen. Sie werden in flüssigem Zustand innerhalb des Bleikreislaufs gespeichert. Ihr Behälter ist, ebenso wie der Brennstoffkreislauf, über einen Schmelzstopfen mit den Ablasstanks ganz unten im Reaktorbunker verbunden. Die Tanks sind eingebettet in Stahlbarren (die eine gewisse Ähnlichkeit mit LEGO-Bausteinen aufweisen), welche die Restzerfallswärme puffern und langsam in das umgebende Erdreich ableiten.

Weitere Anwendungen

Die Abstrahlung der Spaltprodukte vermag chemische Reaktionen auszulösen: Radiotomische Chemie ist eine weitere Anwendung, die in einem DFR-Kraftwerk ihren Platz finden könnte, ebenso wie Produktionsanlagen für medizinische Technetiumgeneratoren.